Für viele Erwachsene, die erst spät die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) erhalten, kann dies eine überraschende und oft erleichternde Erfahrung sein. Plötzlich ergibt alles einen Sinn - die langjährigen Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten und Herausforderungen, die zuvor oft als persönliches Versagen angesehen wurden. Doch neben der Erleichterung gehen mit einer späten Diagnose auch Unsicherheiten und Fragen einher: Wie gehe ich jetzt damit um? Welche Veränderungen sind notwendig? In diesem Artikel werden die häufigsten Herausforderungen beleuchtet, denen Menschen nach einer späten ADHS-Diagnose gegenüberstehen, und praktische Lösungen sowie Strategien vorgestellt.
Herausforderungen nach einer späten Diagnose
Wenn ADHS erst spät diagnostiziert wird, haben Betroffene mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen:
Es fällt vielen Menschen schwer, die Diagnose ADHS im Erwachsenenalter zu akzeptieren. Oft haben sie sich ihr ganzes Leben lang angewöhnt, ihre Schwierigkeiten als persönliche Schwächen zu
betrachten. Plötzlich zu begreifen, dass viele dieser Probleme auf eine neurologische Störung zurückzuführen sind, erfordert eine Umorientierung. Manche Menschen empfinden Zweifel oder Scham,
weil sie denken, sie hätten in der Vergangenheit etwas ändern können, während andere Angst vor dem Stigma haben, das mit ADHS einhergeht.
Lösung: Um Akzeptanz zu finden, ist es wichtig, sich mit dem Thema ADHS auseinanderzusetzen, die wissenschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen und die Funktionsweise der Störung zu durchschauen.
Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder Online-Communities kann dazu beitragen, das Gefühl der Isolation zu verringern und die Diagnose als einen Teil der eigenen
Identität anzunehmen.
Wenn Erwachsene ADHS haben, haben sie oft auch andere psychische Probleme wie Angststörungen, Depressionen oder Suchtprobleme. Wenn die Diagnose spät gestellt wird, müssen auch diese zusätzlichen
Probleme erkannt und behandelt werden.
Lösung: Es ist wichtig, eine Therapie zu wählen, die sowohl ADHS als auch eventuelle Begleiterkrankungen berücksichtigt. Das heißt, dass neben der Einnahme von Medikamenten auch
psychotherapeutische Unterstützung, wie zum Beispiel kognitive Verhaltenstherapie (KVT), eine bedeutende Rolle spielt. KVT kann dabei helfen, negative Denkmuster zu verändern, Ängste zu
verringern und den Umgang mit Stress zu verbessern.
Es kommt oft vor, dass Erwachsene mit ADHS Probleme haben, ihren Alltag zu managen, Termine einzuhalten und Aufgaben zu organisieren. Diese Schwierigkeiten können zu beruflichen Problemen,
finanziellen Engpässen oder Konflikten in zwischenmenschlichen Beziehungen führen.
Die Lösung liegt in der Struktur. Es kann hilfreich sein, im Alltag praktische Werkzeuge wie Kalender, To-Do-Listen, Erinnerungs-Apps und feste Routinen zu nutzen, um eine bessere Organisation zu
erreichen. Ein ADHS-Coach kann dabei unterstützen, maßgeschneiderte Strategien zur Bewältigung von Aufgaben zu entwickeln, realistische Ziele zu setzen und zu erreichen.
Viele Erwachsene mit ADHS leiden oft unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, weil sie lange Zeit das Gefühl hatten, dass sie "anders" sind oder nicht gut genug funktionieren. Wenn die Diagnose
erst spät gestellt wird, können alte Wunden aufgerissen werden und die Betroffenen fragen sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie früher Bescheid gewusst hätten.
Es dauert eine Weile, um das Selbstwertgefühl zu stärken, aber es ist entscheidend. Therapeutische Ansätze, Selbsthilfebücher und der Austausch mit anderen, die auch von ADHS betroffen sind,
können dabei unterstützen. Es ist wichtig, die eigenen Stärken und Erfolge zu würdigen und sich bewusst zu machen, dass ADHS auch positive Seiten haben kann, wie Kreativität,
Begeisterungsfähigkeit und Empathie.
Medikamentöse Behandlung und Therapie
Wenn ADHS erst spät diagnostiziert wird, taucht oft die Frage auf, ob Medikamente eine sinnvolle Option sind. Zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören Stimulanzien wie
Methylphenidat (Ritalin) oder Amphetaminpräparate, die bei etwa 60 % der erwachsenen Patienten mit ADHS eine deutliche Verbesserung der Symptome zeigen. Für diejenigen, die Stimulanzien nicht
vertragen, bieten Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin eine alternative Behandlungsmöglichkeit.
Wichtig zu beachten ist, dass Medikamente zwar unterstützend wirken können, jedoch keine Wundermittel sind. Sie sollten vielmehr als ein Baustein in einem ganzheitlichen Behandlungskonzept
betrachtet werden, das auch psychotherapeutische Begleitung, Verhaltensstrategien und Anpassungen im Lebensstil beinhaltet.
Tipps für den Alltag Neben ärztlicher Behandlung und Therapie gibt es viele praktische Maßnahmen, die Menschen mit einer späten ADHS-Diagnose unterstützen können:
Tipps für eine effektive Zeiteinteilung:
Zeitmanagement:
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- Nutzen Sie Zeitmanagement-Tools wie Kalender, Apps oder Timer, um den Tag zu strukturieren.
- Teilen Sie große Aufgaben in kleinere, überschaubare Schritte auf und setzen Sie sich realistische Deadlines.
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Organisation:
- Entwickeln Sie Routinen, um wiederkehrende Aufgaben einfacher zu bewältigen.
- Nutzen Sie visuelle Erinnerungen (z. B. Post-its, farbige Markierungen), um wichtige Dinge im Blick zu behalten.
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Stressmanagement und Entspannungstechniken:
- Meditation, Achtsamkeitsübungen oder Yoga können helfen, den Geist zu beruhigen und den Umgang mit Stress zu erleichtern.
- Regelmäßige Bewegung und sportliche Aktivitäten unterstützen nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch die mentale Ausgeglichenheit.
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Gesunde Ernährung:
- Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Proteinen, komplexen Kohlenhydraten und Omega-3-Fettsäuren kann helfen, die Konzentration und Stimmung zu stabilisieren.
- Vermeiden Sie übermäßigen Koffeinkonsum oder zuckerhaltige Lebensmittel, da diese zu Schwankungen im Energieniveau führen können.
Unterstützung im sozialen Umfeld
Eine der größten Herausforderungen für Erwachsene mit ADHS ist das Gefühl, nicht verstanden oder akzeptiert zu werden. Daher ist es wichtig, ein unterstützendes soziales Umfeld zu schaffen:
- Kommunikation mit Familie und Freunden: Offen über die Diagnose zu sprechen und die Herausforderungen zu erklären, kann dazu beitragen, Missverständnisse abzubauen und mehr Verständnis zu schaffen.
- Paartherapie oder Familientherapie: Diese Ansätze können helfen, Beziehungen zu stärken und gemeinsame Bewältigungsstrategien zu entwickeln, insbesondere wenn die ADHS-Symptome zu Spannungen führen.
Zusammenfassung:
Eine späte Diagnose von ADHS markiert oft den Anfang eines neuen Abschnitts und eröffnet die Chance, das eigene Leben tiefer zu verstehen und gezielt Veränderungen anzustreben. Die
Herausforderungen, die mit ADHS einhergehen, sind real, aber keineswegs unüberwindbar. Durch das richtige Zusammenspiel von Wissen, Therapie, Medikation, praktischen Strategien und sozialer
Unterstützung können Betroffene lernen, besser mit ihrer Störung umzugehen und ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Akzeptanz, Geduld und eine liebevolle Selbstbehandlung sind hierbei
der Schlüssel zum Erfolg.